Ricou 1 by Wickert

Ricou 1 by Wickert

Autor:Wickert
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: General Fiction
veröffentlicht: 2014-08-14T16:00:00+00:00


Sein Einsatz dauerte länger als erwartet, und als Eric nach vier Tagen völlig erschöpft zurückkam, eilte er in die Krankenhütte, wo er mich nicht mehr vorfand. Noch in der Nacht, nachdem er aufgebrochen war, hatte mich wieder das hohe Fieber überkommen, ich musste wohl im Delirium seinen Namen geschrieen haben. Am nächsten Morgen krümmte ich mich nur noch in meinen Exkrementen. In der Nacht drauf duselte ich völlig ermattet im Halbschlaf vor mich hin, und glaubte plötzlich, Eric wäre zurückgekommen und berühre mich. Dabei war eine Ratte auf mein Bein gesprungen. Aber ich konnte weder stöhnen noch mich regen. Sie biss in mein Schienbein, das zu bluten begann, dann in die Wade.

Es ist ein Phänomen, dass man sich mit dem Bewusstsein außerhalb des eigenen Körpers begeben und ohne Gefühl wahrnehmen kann, was mit ihm geschieht.

Am Morgen wurde ich auf eine Bahre gepackt und ins Sterbehaus getragen. Dort schaute keiner mehr nach mir. Wer starb, der wurde am nächsten Morgen auf den langen Tisch in der Mitte der Hütte gelegt, und wenn genügend Skelette beisammen waren, dann wurden sie abgeholt und beerdigt. Meist standen einige Mitgefangene aus der eigenen Hütte um das Grab, das sie selbst geschaufelt hatten, und aus der Gemeinschaftsbibel wurden ein paar Worte gelesen. Doch auch die Bibel wurde immer dünner. Denn wer als Raucher wieder einmal mit etwas Glück ein Tabakblatt gefunden, getrocknet und klein gehäckselt hatte, der versuchte aus der Bibel ein paar Seiten zu entwenden. Das dünne Papier eignete sich gut, um Zigaretten zu drehen.

Der erste Friedhof war schon längst wieder vom Urwald überwuchert, eine neue Lichtung freigeschlagen worden. Und weil eine Beerdigung Kraft kostet, grub man nicht zu tief, weshalb nach dem Monsunregen Schädel oder Knochen aufgeschwemmt wurden.

Das Versprechen, das ich Eric gegeben hatte, stärkte meinen Willen durchzuhalten und hinderte mich daran, aufzugeben, obwohl ich kaum noch Kraft besaß. Ich weiß nicht, wie lange, ob es Tage waren, die ich in meinem eigenen Dreck vegetierte, schlimmer als Müll, aber wahrscheinlich war mein Blick so starr, das Atmen so leise geworden, dass auch ich für tot gehalten wurde. So nahm mich jemand hoch und legte mich auf den Tisch zu den Toten, ein Haufen besudelter Knochen, die nur noch von gelber oder brauner Lederhaut zusammengehalten wurden.

Von seinem Arbeitseinsatz zurückgekommen, eilte Eric in die Krankenhütte, und als er mich dort nicht fand, rannte er ins Sterbehaus, rief laut ›Vater‹. Ich habe es nicht gehört. Zunächst suchte er mich unter den Sterbenden, bis er mich dann unter den Toten auf dem Tisch entdeckte. Er begann laut zu schluchzen, doch als er noch einmal meine Stirn küssen wollte, stellte er fest, dass ich noch nicht so kalt war wie die Toten neben und über mir und meine Augen nach oben schauten, obwohl man den Toten auf dem Tisch die Augenlider zudrückte. So viel Pietät war doch noch vorhanden. Oder fürchtete sich jemand vor dem Blick aus dem Hades?

Eric nahm mich in seine Arme und trug mich in unsere Hütte, legte mich in sein Bett und deckte mich mit allen Jutesäcken zu, die er von den anderen Betten nahm - und keiner protestierte.



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